Summer of Love
26. Juli 2003
Eine schöne gute Nacht. Bin gerade zu nichts Höherem mehr fähig, als zum Bilder einscannen, Bier trinken und schöne Musik hören. Zuviel gelesen und den Kopf zerstört dabei. Kämpfe gegen Hannah Arendt und frage mich, wie Leute mit vierzehn Kants “Kritik der reinen Vernunft” lesen, dem jungen Heidegger den Kopft verdrehen haben und von allen ihres Denkens wegen gelobt werden und dann doch beim Scheiben so schludrig, so inkonsequent sein können? Vivi meint – “Sie ist eben eine Frau. Lust am Denken aber nicht genau genug.
War gestern auf einem Auktion-Konzert, habe Markscheider Kunst gehört und viele andere schöne Petersburger Bands. Fühlte mich zurückversetzt in den letzten Sommer im Schestnadzadtch Tonn: bekannte Gesichter, bekannte Musik und rings umher Russisch in meinem Ohr. Diesmal nur versetzt nach Berlin, geliebtes Berlin. Hoffe, dass ich Dich nicht so bald verlassen muss. Bessere Städte muss man lange suchen und wird sie vielleicht nie finden – zumindest nicht, solange hier Sommer ist. Die Stadt ist so frei wie arm, so bunt an Menschen, so wenig borniert – fast schon undeutsch. Man kann Feuerchen auf Verkehrsinseln machen, in der U-Bahn auf dem Fußboden sitzen, herumtollen und die Menschen Lachen mit Dir, anstatt Dich schäg anzuschauen. Ich lächle mit.
War letzte Woche auf einem “Weltverbesserer-Kongress” (Vivi-Zitat), oder auch “McPlanet.com” – Umwelt in der Globalisierungsfalle und mich als zoon politicon wiederentdeckt. Jungs und Mädels – es muss etwas geschehen. Macht doch mal! War auf jedenfall eine tolle Stimmung dort und endlich mal kein primitives Linksruck-Gelaber, wie man es sonst so oft bei Anti-Globalisierern antrifft, nicht dumm-links, sondern konstruktiv, analysierend, kritisch, angenehm normativ und informativ. Und ich frage mich, wie wir es doch jeden Tag wieder schaffen, die Augen zu verschließen und “die da oben” machen zu lassen. “Und die da oben” sind nicht die Gleichen, von denen man gemeinhin glaubt, dass sie etwas zu sagen hätten.
Habe mir gestern endlich bei Jochen meine Auswahl seines deutschen Liedgutes gebrannt – er kriegt das ja doch nicht hin und bin gerade begeistert, welch schöne Nationalhymne wir in der DDR doch hatten. Der Eisler war schon ein kleiner Held – forget “Einigkeit und Recht und Freiheit” es lebe “Auferstanden aus Ruinen“! Wer es mir nicht glaubt, komme vorbei und höre selbst.
Noch zwei Wochen und dann ist das Semester um. Werde mich erstmal nach London verflüchtigen, dann im August mit Vivi einen Skandinavien-Baltikum-Trip antreten, um dann schnell meine (vieleicht) letzte Hausarbeit vor dem großen Finale schreiben – Diplom. Gott, ich hab so überhaupt keine Lust, mit dem Studieren – oder eher dem Lernen – aufzuhören. Man darf doch gar nicht damit aufhören. Habe doch so schon bei jeder verpassten Vorlesung, bei jedem sich überschneidenden Seminar das Gefühl, etwas zu verpassen. Wie kann man dann damit aufhören? Danach beginnt das große “Schaffen, schaffe” – nur wofür? Damit sich das Rad der Geschichte weiterdreht, einer mehr auf dieser Welt Geld verdient, Steuern und an die Rentenkasse zahlt, der glorreichte Siegeszug des kapitalistischen Wirschaftssystems nicht stehen bleibt. Dafür lasst uns arbeiten gehen!
Ich aber lege mich jetzt ins Bett.
Gute Nacht!
tom